Schlagwort: Ostdeutschland

  • Ostdeutschland: Quelle der Zuversicht und Treiber der Zukunft

    Warum der Osten Deutschlands Stärke ist

    Vor 35 Jahren fiel die Mauer, und was für ein Meilenstein das war! Ein Symbol für Freiheit, für Neuanfang, für den unerschütterlichen Willen der Menschen, die Spaltung zu überwinden. Aber 35 Jahre später wird oft der Eindruck erweckt, dass sich Deutschland im Zirkelschluss der Enttäuschungen verheddert. Stimmt das wirklich? Oder verpasst dieses Bild nicht den eigentlichen Kern einer Geschichte, die nicht in Resignation endet, sondern noch immer von Potenzial und Chancen erzählt?

    Denn der Osten, der Aufbruchsort von damals, hat heute mehr zu bieten, als manche wahrhaben wollen. Die Stimmen, die sich jetzt laut und fordernd zu Wort melden, sprechen nicht nur von Frust, sondern auch von einem neuen Selbstbewusstsein. Da ist ein Aufschrei, ja, aber eben auch der Wunsch nach echter Anerkennung, nach Gestaltungsmöglichkeiten, die längst überfällig sind. Der Osten will mitreden, mitgestalten, statt immer nur als Kulisse für politische Diskussionen herzuhalten. Und genau hier liegt unsere Chance!

    Vergessen wir nicht, was diese Menschen leisten mussten – und immer noch leisten. Sie haben die größte Transformation durchlebt, die ein Land in der jüngeren Geschichte gesehen hat. Industriejobs verschwanden über Nacht, und doch haben sich viele nie entmutigen lassen. Die Menschen hier mussten flexibel sein, sich neu erfinden, sich ständig anpassen. Genau diese Fähigkeit zur Resilienz, zur Anpassung, ist in einer Welt im Wandel ein unschätzbarer Schatz, den es zu heben gilt. Der Osten hat das, was Deutschland jetzt braucht: den Willen, sich nicht von Unsicherheiten lähmen zu lassen, sondern sie aktiv zu gestalten.

    Worauf also warten wir? Die Welt da draußen verändert sich rasant. Die Herausforderungen sind gewaltig, ja, aber auch die Möglichkeiten. In Zeiten, in denen globale Umbrüche die Karten neu mischen, sind es oft die, die schon Umwälzungen überstanden haben, die jetzt vorneweg marschieren können. Der Osten kann Vorreiter sein, mit Ideen, die im Westen vielleicht noch belächelt werden. Warum nicht aus den spezifischen Erfahrungen hier lernen, sie als Inspiration nehmen, um neue Ansätze für das ganze Land zu entwickeln?

    Natürlich, es gab und gibt Fehler. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. Was, wenn wir diese Fehler als Chance zur Kurskorrektur begreifen? Wenn wir die Versäumnisse der Vergangenheit als Wegweiser nutzen, um jetzt beherzt zu handeln? Der Osten hat uns vieles gelehrt: wie wichtig es ist, zuzuhören, hinzusehen, ernst zu nehmen. Und ja, es geht um Wertschätzung. Aber nicht in sentimentalen Worten, sondern in echten Taten. In Investitionen, in Forschung, in Kultur, in Bildung – in allem, was Regionen stark macht. Warum nicht endlich die Stärken ausspielen, die hier schon lange schlummern?

    Das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation in Halle mag spät kommen, aber seine Botschaft ist aktuell wie nie: Wir brauchen neue Ideen für ein Deutschland, das sich nicht vor Veränderungen fürchtet, sondern sie mitgestaltet. Ein Deutschland, das sich der besonderen Kraft bewusst ist, die aus der Wiedervereinigung entsprungen ist – die Kraft, Mauern nicht nur einzureißen, sondern nachhaltig Neues zu schaffen.

    Denn die Mauer ist mehr als ein historisches Denkmal. Sie ist eine Mahnung, aber auch eine Inspiration. Deutschland hat gezeigt, dass es Spaltungen überwinden kann, wenn der Wille da ist. Warum sollten wir nicht den Mut haben, diesen Geist wieder aufleben zu lassen? Den Mut, uns selbst nicht kleinzureden, sondern die Herausforderungen anzupacken, als Land, das gelernt hat, wie man Krisen meistert.

    Das ist der Aufruf: Mehr Aufbruch, mehr Zuversicht! Lasst uns den Osten nicht länger als Problemregion sehen, sondern als Kraftquelle, die wir endlich nutzen sollten. Hier gibt es Menschen mit Ideen, mit Kreativität, mit einem tiefen Verständnis dafür, was Wandel bedeutet. Lasst uns den Schwung von damals wieder aufnehmen und die Zukunft gestalten – gemeinsam, mit neuem Mut, und einem ungebrochenen Willen, zu beweisen, was Deutschland wirklich kann.

  • Sachsen-Anhalts trügerische Stärke

    Wie der Osten den Anschluss finden muss

    Die aktuelle IW-Studie „Sachsen-Anhalt: Wo gutes Leben bezahlbar ist“ untersucht das Leben und die wirtschaftlichen Bedingungen in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu Westdeutschland und den anderen ostdeutschen Bundesländern. Die zentrale Aussage der Analyse ist, dass sich das Leben in Sachsen-Anhalt durch bezahlbaren Wohnraum, eine moderate Lebenshaltungskostenstruktur und einen Ausbau industrieller Potenziale wie der Intel-Ansiedlung auszeichnet. Zugleich verweist die Studie jedoch auf erhebliche Herausforderungen, insbesondere in den Bereichen Demografie, Infrastruktur und wirtschaftliche Dynamik.

    Was bedeutet das in der Praxis? Die Tatsache, dass Sachsen-Anhalt als Region günstiges Wohnen bietet, erscheint zunächst attraktiv, verdeckt aber die zugrunde liegenden strukturellen Probleme. Die junge Bevölkerung wandert ab, Bildungs- und Karrieremöglichkeiten stagnieren, und die Region kämpft mit einem hohen Durchschnittsalter. Der große Anreiz, Wohnraum preiswert zu halten, könnte zum Bumerang werden, wenn nicht zugleich in moderne, zukunftsfähige Arbeitsplätze und soziale Strukturen investiert wird.

    Die Ansiedlung von Großunternehmen wie Intel in Magdeburg mag Hoffnung wecken, doch es bleibt fraglich, ob der Effekt auf die regionale Arbeitsmarktlage nachhaltig sein wird. Bisherige Modelle zeigen, dass Industrieansiedlungen oft den Bedarf an Fachkräften von außerhalb decken müssen, was die Abwanderung junger Talente aus der Region nicht stoppt. Sachsen-Anhalt muss daher mehr tun, um den Standort langfristig lebenswert zu machen, anstatt sich nur auf punktuelle Erfolge zu stützen.

    Denkbare Lösungen wären eine Reform der Bildungspolitik, die Innovationsförderung in ländlichen Gebieten sowie der Ausbau nachhaltiger Infrastrukturen. Es braucht verlässliche Konzepte, um die Landflucht zu stoppen und Arbeitsmöglichkeiten für Einheimische zu schaffen. Ohne strukturelle Investitionen könnten die jetzigen Standortvorteile im Wohnbereich ihre Attraktivität verlieren und die Region weiter in eine demografische Schieflage bringen.

    Damit stellt sich die Kernfrage: Wollen wir die Illusion des „bezahlbaren Lebens“ in Sachsen-Anhalt weiterhin preisen oder endlich mit politischen Weichenstellungen echte Perspektiven schaffen?

    Die Antwort muss klar sein: Die Attraktivität des Lebens in Sachsen-Anhalt darf nicht nur an günstigen Mieten oder Lebenshaltungskosten gemessen werden. Es braucht mutige, zukunftsorientierte Entscheidungen, die junge Menschen halten und Fachkräfte anziehen, indem Bildung, Innovation und moderne Infrastrukturen systematisch gefördert werden. Sonst bleibt die vermeintliche Stärke der Region eine trügerische Fassade, die nicht verhindern kann, dass das Fundament weiter erodiert.

  • 30 Jahre Warten auf den Aufschwung

    Die Konsequenz: jetzt gibt’s halt AfD.

    In Ostdeutschland geht es um mehr als Wahlergebnisse, es geht um ein Gefühl. Ein dumpfes, tiefsitzendes Gefühl von „Wieder nicht mitgedacht worden“. Die AfD? Ein Symptom, kein Ursprung. Alice Weidel kann mit ihrer inszenierten Bürgerlichkeit so viel von „bürgerlicher Mitte“ schwadronieren, wie sie will – der Erfolg ihrer Partei im Osten hat damit wenig zu tun. Hier wählt man nicht, weil jemand besonders überzeugend argumentiert. Hier wird gewählt, weil sich über Jahrzehnte aufgestauter Frust entladen muss. Ein Frust, der auf keiner Wahlkampfveranstaltung gelöst wird, sondern in der Stille nach 1989 gewachsen ist. Während sich der Westen euphorisch selbst abfeierte, war im Osten längst klar: Man ist jetzt dabei, aber nicht wirklich gemeint.

    Seit Jahren wird nach Erklärungen gesucht. Endlose Talkshows, Feuilletons, wissenschaftliche Studien. Mal ist es die Transformationskrise, mal der demografische Wandel, mal die ewige Mär vom „ostdeutschen Mentalitätsproblem“. Dabei ist die Wahrheit viel banaler, viel unangenehmer: Es geht um einen tiefsitzenden Vertrauensverlust. Wer über Jahrzehnte das Gefühl hatte, dass ihm nichts versprochen und alles genommen wurde, wird misstrauisch. Es ist dieses Misstrauen, das die AfD im Osten so erfolgreich macht – nicht weil die Partei Lösungen bietet, sondern weil sie verspricht, das Establishment maximal zu ärgern. Der Osten wählt aus Prinzip dagegen. Gegen wen oder was genau? Das ist beinahe zweitrangig.

    Und dann plötzlich dieses neue Wort: die „Blaue DDR“. Eine West-Metapher, die hilflos durch Talkshows geistert, weil sie sich so schön skandalös anhört. Eine DDR 2.0? Wer das glaubt, war entweder nie in der DDR oder hat vergessen, wie es sich anfühlte. Die Ostdeutschen wissen, dass die AfD keine Lösung ist – sie wissen aber auch, dass die Alternativen noch weniger bieten. Jahrzehnte des Lohngefälles, der Standortnachteile, der sanft ignorierten Strukturprobleme: Es ist das konsequente Desinteresse der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft, das die Wahlurne im Osten färbt. Es ist eben nicht der Wunsch nach einem autoritären System, sondern die völlige Abwesenheit eines Glaubens daran, dass es noch einen Unterschied macht, wen man wählt. Denn was ist passiert, seit die Mauer fiel? Erst kam die Treuhand und erklärte ganzen Regionen, dass sie wirtschaftlich nicht tragfähig seien. Dann kam die Nachwendezeit, in der die westdeutschen Entscheider dem Osten die Spielregeln erklärten – Demokratie und Marktwirtschaft, zwei Begriffe, die sich für viele Ostdeutsche lange Zeit eher wie Kampfbegriffe denn wie Heilsversprechen anhörten. Und danach? Danach kam eine wirtschaftliche Erholung, die zwar in Statistiken glänzt, aber in vielen Orten nicht ankam. Nach Jahrzehnten voller Versprechen auf Aufschwung und blühende Landschaften stehen noch immer Dörfer mit halb leeren Marktplätzen, verwaisten Bahnhöfen und einer Generation, die längst nach Westen gezogen ist. Wer geblieben ist, lebt oft in einem Niemandsland zwischen „Wir gehören dazu“ und „Aber ernst nimmt uns niemand“.

    Die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft hat diesen schwelenden Groll lange übersehen. Man hielt es für eine Phase. Für eine Übergangszeit, die irgendwann vorübergeht. Das Problem dabei: Es ist keine Phase, es ist längst eine neue Realität. Und die AfD? Die hat das besser verstanden als alle anderen. Sie tritt nicht als Partei auf, die den Osten retten will – sie tritt als Partei auf, die den Westen verachten gelernt hat. Das ist der Kern ihres Erfolgs. Sie verkauft sich als Sprachrohr derer, die glauben, dass ihnen ohnehin niemand zuhört. Dabei geht es nicht nur um die Alten, die die DDR noch erlebt haben. Es geht genauso um die Jungen, die das Land nur als „die neuen Bundesländer“ kennen, als eine Region, die immer irgendwie hinterherhinkt, immer irgendwie erklärt werden muss. Die nach dem Abi nicht wissen, ob sie bleiben sollen oder doch lieber nach Berlin, Hamburg oder München ziehen. Die erlebten, wie ihre Eltern und Großeltern für das gleiche Geld härter arbeiten mussten als ihre Verwandten im Westen. Die wissen, dass sie in der Statistik für geringere Löhne, schlechtere Karrierechancen und niedrigere Renten stehen. Die sich von Berlin nicht nur geografisch, sondern auch politisch entfremdet fühlen.

    Und so wählt man im Osten. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Trotz. Weil man sich endlich mal nicht bevormunden lassen will. Weil man dem Westen, dem Establishment, der Regierung, den Medien eine lange Nase drehen will. Das Problem ist nur: Demokratie funktioniert so nicht. Protestwahl ist kein Konzept, auf dem sich eine stabile Gesellschaft aufbauen lässt. Doch wer will es den Wählern verdenken? Sie haben 30 Jahre gewartet, dass sich etwas ändert – und als nichts passierte, haben sie eben selbst entschieden, dass es krachen muss. Die westdeutsche Politik reagiert darauf mit Ratlosigkeit. Man fragt sich, was da schiefgelaufen ist, warum die Ostdeutschen „so sind“. Doch solange man sie weiterhin als Kuriosität, als politisches Rätsel betrachtet, wird sich nichts ändern. Denn das Grundproblem bleibt: Wenn sich eine Gesellschaft über Jahrzehnte übergangen fühlt, wählt sie irgendwann radikal. Ob das nun rechts oder links ist, ist fast egal. Es ist der laute Ruf nach Aufmerksamkeit. Und solange der nicht gehört wird, bleibt alles beim Alten – egal, wie oft man über die „Blaue DDR“ diskutiert.

  • Bildungsnotstand im Osten

    Lehrer fehlen, Schüler verzweifeln – und die Politik schaut zu

    In Ostdeutschland brennt die Hütte, und zwar lichterloh. Während Politiker in Berlin von Chancengleichheit und Bildungsrepublik schwadronieren, sieht die Realität in Sachsen, Brandenburg und Co. düster aus: Lehrkräftemangel und fehlende Schulplätze sind hier keine abstrakten Probleme, sondern bittere Alltagserfahrung. Da werden Schulen für Millionenbeträge neu gebaut, nur um dann festzustellen, dass nicht einmal die Hälfte der Unterrichtsstunden abgedeckt werden kann. In Chemnitz zum Beispiel, wo Schüler der 5. und 6. Klassen teilweise mit lächerlichen 13 Stunden Unterricht pro Woche abgespeist werden. Fächer wie Biologie, Geschichte oder Physik? Fehlanzeige.

    Und das ist kein Einzelfall. In Brandenburg sind fast 18 Prozent aller Lehrkräfte ohne Lehramtsbefähigung im Einsatz, auf dem Land sogar fast ein Viertel. Da werden Seiteneinsteiger ins kalte Klassenzimmer geworfen, weil schlichtweg niemand anderes da ist. Die Schülerzahlen steigen, die Lehrerzahlen sinken – eine explosive Mischung, die seit Jahren tickt. Der Lehrermangel trifft dabei vor allem die schwächsten Schüler: Kinder mit Lernschwierigkeiten, Kinder aus bildungsfernen Haushalten, Kinder, die Unterstützung bräuchten, aber stattdessen in überfüllten Klassen sitzen, in denen die Lehrer schlichtweg nicht die Kapazitäten haben, sich um sie zu kümmern.

    Die Verantwortlichen? Die wiegeln ab, reden von „Herausforderungen“ und „gemeinsamen Anstrengungen“. Doch was nützen all die Sonntagsreden, wenn die Realität von Montag bis Freitag eine andere ist? Wenn Eltern nicht wissen, ob ihre Kinder morgen überhaupt Unterricht haben? Wenn Schüler von Schule zu Schule geschickt werden, weil es schlichtweg keinen Platz für sie gibt? Der Bildungsnotstand ist längst da, doch anstatt endlich gegenzusteuern, wird verwaltet und kleingeistig gespart. In Sachsen sind bereits 1000 Stellen für Lehrkräfte unbesetzt – eine Zahl, die im kommenden Schuljahr noch steigen wird. Und währenddessen geht die Politik in den Wahlkampf mit wohlklingenden Versprechen, die seit Jahren nicht eingelöst werden.

    Aber es gibt doch Quereinsteiger! Heißt es dann oft. Klar, in einer Notsituation ist jeder Lehrer besser als kein Lehrer. Doch wenn diese Quereinsteiger selbst nach Jahren im Schuldienst immer noch keine vollwertige Lehramtsausbildung haben, wenn sie kaum auf den Beruf vorbereitet wurden, wenn sie trotz aller Bemühungen fachlich oft nicht mithalten können – dann ist das keine Lösung, sondern eine Notmaßnahme, die dauerhaft auf Kosten der Bildung geht. Ein Viertel der neuen Lehrer in Ostdeutschland hat keine reguläre Lehrerausbildung – eine Zahl, die in keinem anderen Bundesland so hoch ist. Das Resultat? Unterrichtsausfall, überforderte Pädagogen und ein Schulsystem, das immer mehr Schüler durch das Raster fallen lässt.

    Die Leidtragenden? Die Schüler. Die Eltern. Die Lehrkräfte, die täglich unter widrigsten Bedingungen versuchen, den Schulalltag zu meistern. Und auf lange Sicht? Die gesamte Gesellschaft. Denn Bildung ist nicht nur ein schönes Schlagwort für Wahlkampfreden, sondern die Grundlage für alles: für soziale Teilhabe, für wirtschaftliche Entwicklung, für Demokratie. Ein Bildungssystem, das scheitert, produziert nicht nur schlecht ausgebildete Absolventen, sondern auch Frust, Wut und Resignation. Und die zeigt sich dann in Wahlergebnissen, in denen sich immer mehr Menschen von den etablierten Parteien abwenden, weil sie sich im Stich gelassen fühlen.

    Es ist ein Offenbarungseid der Bildungspolitik. Während in Sonntagsreden von der Wichtigkeit der Bildung gesprochen wird, zeigt sich von Montag bis Freitag ein anderes Bild: marode Schulen, überfüllte Klassen und Lehrkräfte, die am Limit sind. Die Leidtragenden sind die Schüler, die um ihre Zukunft betrogen werden. Und das in einem Land, das sich als Bildungsnation rühmt. Ein Armutszeugnis sondergleichen.

    Die Lösung? Die gibt es nicht von heute auf morgen. Aber eines ist klar: So kann es nicht weitergehen. Es braucht endlich ernsthafte Investitionen in Bildung, und zwar nicht nur in Beton, sondern vor allem in Menschen. Es braucht eine Wertschätzung für den Lehrerberuf, die sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zeigt. Und es braucht eine Politik, die nicht länger die Augen vor der Realität verschließt, sondern endlich handelt. Sonst bleibt von der viel beschworenen Bildungsrepublik Deutschland bald nur noch eine leere Hülle übrig.

    Und vielleicht, nur vielleicht, sollten die Verantwortlichen einmal eine Woche lang in einer ostdeutschen Schule verbringen. Ohne Sonderbehandlung, ohne vorbereitete PR-Bilder, ohne geschönte Statistiken. Einfach nur eine Woche lang den echten Alltag erleben – dann würde sich zeigen, wie ernst sie es mit der Bildung meinen. Denn wer nach einer Woche in einer unterbesetzten Schule immer noch behauptet, es sei alles unter Kontrolle, der hat entweder ein Problem mit der Realität oder ein erschreckend großes Talent für Selbstbetrug.

  • Anderssein als Stärke

    Vom Rand ins Zentrum der Republik

    „Das neue Ostbewusstsein“ – klingt das für manche nicht nach einem Slogan aus dem politisch längst vergessenen Abstellraum? Die Erinnerung an endlose Wiedervereinigungsrituale und die dröhnenden Parolen von „blühenden Landschaften“, die nie ganz aus ihrem metaphorischen Winterschlaf erwachten, hallen dabei irgendwie mit. Aber das hier, das ist etwas anderes, etwas Neues, etwas Rohes. Es ist eine Stimmung, die man nicht einfach ins Parteiprogramm packen oder mit den üblichen Wohlfühlfloskeln in die politische Mitte pressen kann. Es ist kein aufpoliertes Narrativ der Einheit, sondern ein unüberhörbares Raunen aus einer Region, die gelernt hat, mit ihrer eigenen Widersprüchlichkeit zu leben.

    Ostdeutschland 2025. Dreißig Jahre Transformation liegen hinter uns, aber es ist diese merkwürdige Phase danach, die alles verändert hat. Keine Jahrhundertprojekte mehr, keine rituellen Abhandlungen über den großen wirtschaftlichen „Aufbau Ost“. Stattdessen: eine Leerstelle, die plötzlich zu sprechen begann. Und das, was sie sagt, ist nicht bequem, nicht kompatibel mit der westdeutschen Erzählung, aber genau deshalb so eindringlich. Ein neues Selbstbewusstsein entsteht. Ein Ostbewusstsein, das sich nicht mehr als Anklage oder als ständige Rechtfertigung formuliert, sondern als eine Art politische und kulturelle Unabhängigkeit.

    Aber was bedeutet das konkret? Es ist die Absage an die jahrzehntelange Erwartung, der Osten müsse irgendwann so werden wie der Westen – wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch. Es ist die Erkenntnis, dass die Unterschiede nicht nur bestehen bleiben, sondern dass sie genau das sind, was den Osten in seiner Widersprüchlichkeit ausmacht. Es ist das Bewusstsein, dass diese Region immer auch eine Projektionsfläche war: für westdeutsche Politik, die sich mit Fördergeldern von ihrer eigenen kolonialen Arroganz freikaufen wollte, für linke Träume von sozialistischer Gerechtigkeit, für rechte Fantasien von nationaler Homogenität.

    Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Laut einer aktuellen Umfrage identifizieren sich immer mehr Menschen im Osten stärker mit ihrer Region als mit der Bundesrepublik insgesamt. Und das ist kein Rückfall in irgendeine Form von Provinzialismus. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich nicht mehr nur über die Maßstäbe einer westlich geprägten politischen und kulturellen Dominanz definieren zu lassen. Das Ostbewusstsein hat gelernt, sich selbst ernst zu nehmen, ohne sich dabei gleich ins nostalgische „Früher war alles besser“-Feld zu verabschieden.

    Natürlich ist das auch eine Reaktion auf die Ignoranz der Bundespolitik. Während Berlin in Sonntagsreden von Chancengleichheit und gleichwertigen Lebensverhältnissen spricht, tickt die politische Realität im Osten längst anders. Hier haben Parteien wie die AfD nicht nur einen symbolischen Wert, sie sind Ausdruck eines tiefen Vertrauensverlusts in die Demokratie. Wer hier von einem „neuen Bewusstsein“ spricht, muss auch von der Wut sprechen, von der Frustration, die sich aus einem jahrzehntelangen Gefühl der politischen Entmündigung speist.

    Doch dieses Ostbewusstsein ist mehr als Protest. Es ist auch die Lust an der eigenen Geschichte, an der eigenen Erzählung. Plötzlich wird die DDR nicht mehr nur als Fußnote der deutschen Geschichte betrachtet, sondern als Teil einer kollektiven Identität, die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu einer echten Ressource geworden ist. Die Frage ist nicht mehr, ob das Osten-sein irgendwann überwunden werden kann, sondern wie es als Stärke neu interpretiert werden kann.

    Die Medien? Tun sich schwer damit. Für viele bleibt der Osten der ewige Problemfall, eine Art Ausnahmezustand der Republik. Aber diese Erzählung bröckelt. Gerade junge Ostdeutsche wehren sich zunehmend gegen die Stereotype von rechtsradikalen Randgebieten und wirtschaftlich abgehängten Regionen. Das Internet spielt dabei eine Schlüsselrolle. In sozialen Netzwerken, in Blogs und Podcasts formiert sich eine neue, selbstbewusste Generation, die ihre eigene Sprache findet – und das oft in einem Tonfall, der westliche Beobachter irritiert.

    Es ist an der Zeit, dass wir aufhören, den Osten als Problemzone zu betrachten, die es zu „lösen“ gilt. Das neue Ostbewusstsein ist kein Hilferuf, es ist eine Ansage. Eine Region, die nicht mehr nur verwaltet werden will, sondern ihren Platz in der Bundesrepublik auf ihre eigene Art definiert. Es ist eine politische, kulturelle und soziale Bewegung, die keine einfachen Antworten liefert, aber genau deshalb so wichtig ist.

    Wie schrieb die taz kürzlich so treffend: „Der Osten hat nie aufgehört, anders zu sein.“ Aber genau in diesem Anderssein liegt die Chance. Es ist an der Zeit, dass wir lernen, den Osten nicht mehr durch die westliche Brille zu sehen, sondern als das, was er ist: ein eigenständiger, vielschichtiger Teil Deutschlands, der gerade dabei ist, sich neu zu erfinden – und damit auch den Rest der Republik verändert.

  • Wenn der Fuchs den Hühnerstall bewacht

    Wie der Osten sich politisch neu erfindet

    Mit voller Wucht ins Ungewisse – der Osten Deutschlands, politisch betrachtet, so ostdeutsch wie nie zuvor. Sachsen, Brandenburg, Thüringen: neue Regierungen, einmalige Konstellationen. Doch was bedeutet das für die Zukunft? Ein Gedankenspiel: Wäre die Ampelregierung in Berlin nicht erst am 6. November, sondern schon vor dem Sommer zerbrochen – vor den Landtagswahlen im Osten –, hätte sich der Frust über das zerstrittene Dreierbündnis vielleicht nicht so drastisch in den Wahlergebnissen entladen müssen. Doch es kam anders. Die AfD triumphierte, SPD, Grüne und FDP erlebten herbe Niederlagen. Dietmar Woidke in Brandenburg musste sogar Bundeskanzler Scholz vom Wahlkampf ausladen, um sich abzusetzen. Ein bemerkenswerter Schachzug, der die Anti-Ampel-Stimmung im Osten unterstreicht.

    Die Landtagswahlen 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fanden unter einer politischen Gemengelage im Bund statt, die kurz danach bereits nicht mehr existierte. Die neuen Verhältnisse wirken nun fast wie aus einer alten Zeit ins politische Jetzt hinein. Und dieses politische Jetzt wird nach der Bundestagswahl im Februar schon wieder ein wenig nach alter Zeit aussehen. Ein politisches Déjà-vu, das Fragen aufwirft.

    Die Folgen für die Ampelparteien waren gravierend. Die Grünen tauschten ihre Parteispitze aus, Kevin Kühnert trat als SPD-Generalsekretär zurück, die FDP entwarf ihr geheimes „D-Day“-Szenario für den gezielten Koalitionsbruch. Interessanterweise wurde kaum diskutiert, ob all das mit den Ostwahlen zusammenhängt. Ein blinder Fleck in der politischen Analyse?

    Die politische Realität im Osten hat sich nach diesen Wahlen maßgeblich verändert. Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt eine weitere politische Farbe hinzu. BSW, AfD und die Linke – drei Parteien, die im Westen keine so große oder nur marginale Rolle spielen. Der Osten denkt anders, wählt anders. Kommen die ostdeutschen Länder damit politisch zu sich selbst? Wenn ja, wie sieht das aus?

    Volatil, fragil, paradox. Das Regieren dürfte reichlich kompliziert werden. In Brandenburg hat die SPD-BSW-Koalition nur eine hauchdünne Mehrheit, und mit Wagenknechts Bündnis regiert eine Partei, die über keinerlei Erfahrung verfügt. In Thüringen führt Mario Voigt (CDU) eine Patt-Regierung mit SPD und BSW an; für jede Mehrheitsentscheidung muss er bei der Opposition um Stimmen werben, und die AfD verfügt über eine Sperrminorität. Am schwersten hat es wohl Michael Kretschmer in Sachsen. Er steht einer historisch kleinen Minderheitsregierung vor, die es in der Geschichte der Bundesrepublik so noch nicht gab. Wenigstens kennt er in seiner Mini-Regierung den Koalitionspartner, die SPD. Doch keine dieser Konstellationen existiert in einem anderen Bundesland, alle sind singulär.

    So ostdeutsch war der Osten noch nie, politisch betrachtet. Diese Situation kann zu großer Disziplin unter den demokratischen Parteien führen – oder in heillosem Chaos enden. Wahrscheinlich erleben wir beides im Wechsel.

    Bei den Regierungsbildungen ließ sich das bereits beobachten. Zweimal stiftete das BSW Chaos: einmal, als es sich mitten in den Thüringer Koalitionsverhandlungen im Streit um die sogenannte Friedenspräambel beinahe selbst zerlegte. Und ein weiteres Mal, als die sächsische BSW-Fraktion, nur wenige Stunden nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und kurz bevor in der Nacht dann auch die Ampel brach, überraschend die Verhandlungen in Dresden platzen ließ – wahrscheinlich auf Wunsch von Sahra Wagenknecht persönlich.

    Die Wahlen der Ministerpräsidenten dagegen liefen überraschend glimpflich ab – vor allem in Sachsen und Thüringen. Die Landesparteien der Linken disziplinierten sich und gaben ihre Stimmen den beiden Konservativen Kretschmer und Voigt. Doch das sollte nicht zu Illusionen führen: Sie nahmen der AfD damit jeden Spielraum und versetzten die neuen Landesregierungen in eine Bringschuld. Die Politik der CDU wird in Sachsen und Thüringen zukünftig maßgeblich von linken Parteien abhängig sein. Sie wird also selbst nach links rücken müssen – obwohl Friedrich Merz seine Partei im Bund wieder stärker ins Konservative wendet und obwohl der Osten insgesamt weiter nach rechts gerückt ist. Ob das gut geht? Wird sich die CDU darauf einlassen?

    Überraschungsmomente werden in Zukunft normal sein. Ausnahmen dürften im Osten zur Regel werden, denn bei wichtigen Entscheidungen kommt es nun stets auf jede Stimme an. Das verlangt von den Regierungskoalitionen einerseits ungeheure Geschlossenheit und in der Zusammenarbeit mit der demokratischen Opposition große Kompromissfähigkeit. Das ist die „neue politische Kultur“, die von vielen Politikern zwischen Dresden und Erfurt indessen so gerne beschworen wird.

    Eine Stimme wird dabei wichtiger als alle anderen: die von Sahra Wagenknecht, der Populistin. Für Kompromissfähigkeit ist sie nicht bekannt. Doch sie verfügt fortan über so viel Macht wie kaum jemand anderes im Osten, denn ohne ihre Zustimmung geht in Sachsen, Thüringen und Brandenburg so gut wie nichts mehr. Dass sie ihre Landesverbände an der kurzen Leine führen wird, daran besteht kaum ein Zweifel. So führt sie ja die gesamte, nach ihr benannte Partei. Wie wird sie agieren, wenn sie bei der Bundestagswahl im Februar an der Fünfprozenthürde scheitern sollte? Wird sie dann über die Länder versuchen, ihren frontalen Oppositionskurs zu organisieren? Durchaus möglich. Für weniger Chaos spricht das nicht.

    Vieles wirkt wie ein statischer Übergang, ein Provisorium. Als wäre der Osten auf seiner langen Suche nach sich selbst noch eine Weile unterwegs. Denn dass diese drei Landesregierungen lange halten, darauf sollte man nicht viel wetten. Dass sie den zunehmenden Rechtsruck aufhalten können, auch nicht. Werden sie die letzte Etappe sein, bevor die AfD irgendwo in Regierungsverantwortung kommt?

    Vielleicht kommt es anders. Doch dafür müssten sich die Demokraten mit voller Wucht und viel Mut ins Neue stürzen. Und ins Ungewisse. Denn nur so könnten die Gewissheiten eines Tages wieder größer werden.

  • Die SPD und ihr Kampf um Ostdeutschland

    Zwischen Nostalgie und Neubeginn

    Die SPD und Ostdeutschland – eine Beziehung voller Abgründe, Sehnsüchte und unzähliger Sonntagsreden. Da sitzt sie nun, Klara Geywitz, stellvertretende SPD-Vorsitzende und Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, und erklärt mit ernstem Gesicht, warum ausgerechnet die SPD die Hoffnung der Ostdeutschen sein soll. Währenddessen flackert auf den Fernsehbildschirmen die AfD mit zweistelligen Umfragewerten über die Küchenarbeitsplatten der Lausitz. Man kann es nicht anders sagen: Die politische Landschaft östlich der Elbe gleicht einer Baustelle – irgendwo zwischen Verzweiflung und Aufbruchsstimmung.

    Geywitz glaubt fest daran, dass die SPD das Zeug hat, 2025 in Ostdeutschland erneut zu überzeugen. Ihre Waffen: soziale Gerechtigkeit, sichere Renten, ein starker Mindestlohn. Klingt wie das Greatest Hits-Album der Sozialdemokratie, das seit Jahrzehnten in jeder Parteizentrale rauf- und runtergespielt wird. Und doch: Der Mindestlohn ist erhöht, Millionen Menschen – gerade im Osten – haben mehr Geld in der Tasche. Kann man feiern, ja. Aber feiern sie das auch in Cottbus, wo der nächste Supermarkt fünf Kilometer entfernt liegt und die Inflation die Einkaufswagen halb leer macht?

    Olaf Scholz, Kanzler und in Potsdam heimisch, ist derweil so etwas wie der stille Schwiegersohn der Ostdeutschen. Kein Lautsprecher, eher der bedachte Buchhalter, der sich in Krisenstaaten wie ein gelassener Hausarzt verhält. Scholz’ Politik: vernünftig, ruhig, aber eben auch ohne große Gefühle. Während Scholz den russischen Angriffskrieg mit einem fein austarierten Mix aus Waffenlieferungen und diplomatischer Zurückhaltung beantwortet, marschiert die AfD – mit lautem Getöse und einfachen Antworten – von Protestwahl zu Protestwahl. Und jetzt mal ehrlich: Gegen ein Bierzelt voller Polemik kommt keine Kabinettssitzung an.

    Aber zurück zu Geywitz. Sie spricht von Strukturwandel, von Erfolgen in den Kohlerevieren der Lausitz, von Tarifauseinandersetzungen. „Wir sind die Partei der Arbeitnehmer“, sagt sie. Und in den leeren Hallen ehemaliger Textilfabriken hallt dieser Satz vielleicht sogar noch nach. Aber reicht das? Reicht es, mit den alten Losungen neue Wähler zu gewinnen? Die Antwort darauf liegt nicht in Parteitagen oder Hochglanzbroschüren, sondern in den Dorfkneipen, in den Pendlerzügen und ja, auch in den Chatgruppen der Skeptiker.

    Die SPD hat es mit einer Generation zu tun, die wenig Bindung zur Partei verspürt. Viele der ostdeutschen Stammwähler sind nicht mehr da, zu alt, zu müde, zu desillusioniert. Die jungen Menschen, die geblieben sind, blicken oft misstrauisch auf Berlin. Strukturwandel? Klingt gut, aber wo bleiben die Jobs? Wo bleiben die Busverbindungen? Wo bleibt die Zukunft? Die Lausitz, einst Motor der DDR-Wirtschaft, wirkt für viele wie ein Museum ohne Besucher.

    Und dann ist da noch die Konkurrenz. Die AfD, die von Protestwählern getragen wird und sich längst als Partei der „Vergessenen“ inszeniert hat. Die CDU, die mit ihrem Pragmatismus punktet. Und irgendwo dazwischen die Grünen, die mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit gerade in urbaneren Gegenden Wähler finden. Die SPD hingegen? Irgendwo zwischen Nostalgie und notwendigem Realismus.

    Was die Partei braucht, ist ein radikales Umdenken. Nicht nur die ewig gleichen Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, sondern auch die konkreten Antworten auf die spezifischen Probleme des Ostens. Wie wäre es zum Beispiel mit einem echten Mobilitätspakt für ländliche Regionen? Oder einer Innovationsstrategie, die nicht nur Start-ups fördert, sondern auch traditionelle Betriebe mitnimmt? Und vor allem: Wie könnte die SPD den Menschen im Osten das Gefühl geben, dass sie nicht nur gehört, sondern auch verstanden werden?

    Es reicht nicht, die Vergangenheit zu feiern. Die Menschen im Osten erwarten Zukunft. Und sie erwarten Antworten. Ob die SPD diese liefern kann, wird sich zeigen. Eines ist jedoch klar: Der Wahlkampf 2025 wird kein Spaziergang, sondern ein Kampf um Vertrauen. Ein Kampf, den die Partei nur gewinnen kann, wenn sie bereit ist, ihre eigenen Baustellen ernsthaft anzugehen. Bis dahin bleibt viel zu tun. Viel zu erklären. Und noch mehr zu beweisen.

  • Der Pflegenotstand: Ein politisches Versagen in Deutschland

    Die alarmierenden Zahlen der Pflegebedürftigkeit

    Die alarmierende Zunahme der Pflegebedürftigen in Deutschland ist nicht nur eine statistische Zahl, sondern ein massives gesellschaftliches Problem, das dringend angegangen werden muss. Laut dem aktuellen Pflegereport der AOK hat sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen zwischen 2017 und 2023 um erschreckende 57 Prozent erhöht – ein Anstieg, der die demografischen Prognosen weit übersteigt. In einem Land, das sich selbst als fortschrittlich und fürsorglich bezeichnet, ist es inakzeptabel, dass diese Entwicklung nicht im politischen Diskurs verankert ist und die notwendigen Maßnahmen ausbleiben.

    Besonders bedenklich erscheint die Lage in Ostdeutschland, wo in Brandenburg bereits jede sechste Person als pflegebedürftig gilt. Thüringen kann gar einen Anstieg von über 60 Prozent in den letzten Jahren verzeichnen. Solche Zahlen zeugen von einer Krise, die nicht allein durch die Alterung der Bevölkerung zu erklären ist. Es ist unbestreitbar, dass die staatlichen Institutionen versagen, wenn sie die realen Bedürfnisse der Bürger nicht adäquat erkennen und darauf reagieren.

    Warum geschieht dies? Experten diskutieren verschiedene Ursachen, von steigenden Demenzerkrankungen bis hin zu sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen. Das Ansteigen von Single-Haushalten und sinkenden Einkünften könnte, so die Argumentation, zu einem höheren Bedarf an Pflegeleistungen führen. Doch warum stellt sich der Staat nicht proaktiv auf diese Veränderungen ein? Eine Gesellschaft, die die Herausforderungen des demografischen Wandels nicht antizipiert, ist zum Scheitern verurteilt.

    Es ist auch bezeichnend, dass ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff 2017 eingeführt wurde, um eine Differenzierung in den Leistungen der Pflegeversicherung vorzunehmen. Fünf Jahre später muss konstatiert werden, dass die Pflegeprävalenz immer noch weit über den demografisch erwartbaren Werten liegt. Wird diese Entwicklung als Trend ignoriert, drohen nicht nur individuelle Schicksale, sondern auch die Integrität unseres Gesundheits- und Sozialsystems.

    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte einen Anstieg um 400.000 pflegebedürftige Menschen für das laufende Jahr an. Doch mit Ankündigungen allein ist es nicht getan. Es bedarf einer grundlegenden Reform der Pflegeinfrastruktur und einer politischen Agenda, die der Pflegebedürftigkeit nationale Priorität einräumt. Die derzeitige Situation erfordert nicht nur ein Umdenken in der Politik, sondern auch ein Umsteuern hin zu einer Ressourcenallokation, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung trägt.

    Die Tatsache, dass wir in einem Land leben, das über den drittfondsreichsten Sozialstaat der Welt verfügt, sollte uns nicht davon abhalten, einen kritischen Blick auf die Themen Pflege und soziale Gerechtigkeit zu werfen. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Verantwortung gegenüber denjenigen, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind, ernst nehmen. Diese Herausforderung ist weit mehr als nur eine gesundheitspolitische Frage – es ist eine Frage der Menschlichkeit und Solidarität in unserer Gesellschaft.

  • Warum wir Zuversicht aus Ostdeutschland schöpfen sollten

    Selbstverständnis als Schlüssel

    Deutschland, ein Land der dauerhaften Krisenbewältigung, findet selten Anlass zur Selbsterhebung, und noch seltener geschieht das in Ostdeutschland. Doch wer sich auf die schier endlose Litanei des Jammerns einlässt, verkennt das Bild einer Region, die – bei aller berechtigten Kritik – in den letzten 35 Jahren eine der größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationen der Welt vollbracht hat. Eine Transformation, die, wie so oft, mehr in die Annalen der Unzufriedenheit eingeht als in die Chroniken der Hoffnung. Vielleicht ist gerade deshalb eine neue Perspektive gefragt: eine, die endlich die tiefen Narben erkennt, aber die ebenfalls das Potenzial in den Vordergrund stellt.

    Man muss sich einmal die Fakten vergegenwärtigen. Fast 80 Prozent der DDR-Industriearbeitsplätze waren wenige Jahre nach der Wende verschwunden, der Osten sah sich in einer existenziellen Umbruchsituation, die Millionen von Menschen zu Pendlern, Umschulern und Erfindern ihrer eigenen Lebensläufe machte. Dass in dieser Region heute Rekordbeschäftigung herrscht, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer unerschütterlichen Resilienz. Doch diese Leistung findet sich selten im gesamtdeutschen Selbstbewusstsein wieder. Stattdessen wird das Narrativ der gescheiterten blühenden Landschaften, der kollektiven Traumatisierung, der ewigen Opferrolle gepflegt, als wäre das der einzige Kitt, der die Erinnerung an diese Zeit zusammenhält.

    Doch warum diese Dissonanz zwischen Erfolg und kollektiver Unzufriedenheit? Warum hält sich die Stimmung von Abgehängtheit und Verzweiflung? Sicherlich, es gibt handfeste Gründe: Löhne, die im Durchschnitt immer noch 20 Prozent niedriger sind als im Westen. Ein Gender Pay Gap, der nicht einfach wegdiskutiert werden kann. Eine Vermögenssituation, in der ostdeutsche Haushalte im Vergleich zu westdeutschen bei Weitem nicht mithalten können. Das alles ist real, spürbar, und in keiner Weise wegzuwischen. Und doch: Deutschland, so zeigen es EU-Studien immer wieder, ist eines der am besten ausgeglichenen Länder der Welt in Bezug auf regionale Unterschiede. Die Unterschiede, die hierzulande zwischen Ost und West bestehen, verblassen im Vergleich zu den historischen Einkommensgefällen zwischen Nord- und Süditalien oder dem englischen Norden und London.

    Aber es geht um mehr. Es geht um die Frage, wie eine ganze Gesellschaft von diesem tiefen Empfinden der Wertlosigkeit befreit werden kann. Dass Politiker in Ostdeutschland zunehmend auf rechtsextreme Rhetorik setzen, liegt nicht zuletzt an diesem unterirdischen Selbstwertgefühl. Hier könnten wir von der US-Soziologin Arlie Russell Hochschild lernen, die den Trumpismus als eine politische Bewegung des emotionalen Ressentiments beschreibt: Menschen, die sich zu kurz gekommen fühlen, lassen sich nur zu leicht mit einfachen Feindbildern ködern. Dieselbe Dynamik zeichnet sich in Ostdeutschland ab, wo aus wirtschaftlichem Unbehagen kulturelle und politische Abstiegsängste werden, die sich in einem unreflektierten Nationalismus entladen.

    Was würde es jedoch bedeuten, wenn man die Erfolge dieses Landesteils einmal anders erzählt? Wenn die Hartnäckigkeit, der Pragmatismus, die kreative Zähigkeit dieser Menschen als etwas Positives betrachtet würden? Denn die ostdeutsche Realität ist nicht die eines Dauer-Misere-Brennpunkts. Vielmehr sind es Orte wie Dresden, Leipzig oder Erfurt, die sich in den letzten Jahren zu Wirtschaftsstandorten von internationalem Rang entwickelt haben. Start-ups sprießen hier nicht nur, sie gedeihen. Innovative Forschungszentren und Universitäten binden immer mehr junge, kreative Köpfe, und diese schaffen Perspektiven, die weit über das einfache „Über-die-Runden-kommen“ hinausgehen.

    Wenden wir uns also von der Erzählung des ewigen Niedergangs ab und fragen wir uns: Warum gibt es hier Hass statt Stolz? Warum nehmen Abschottung und Ausgrenzung zu? Vielleicht, weil Anerkennung nie die Enttäuschung überwunden hat. Die Anerkennung dafür, dass man die härtesten Jahre nach der Wende überstanden hat, dass sich Ostdeutschland trotz aller Widrigkeiten behauptet hat. Die Zahlen zur Lebenszufriedenheit sprechen eine eigene Sprache: Menschen hier sind – im persönlichen Bereich – zufrieden, und trotzdem verfestigt sich die gesellschaftliche Unzufriedenheit. Es ist, als habe man gelernt, sich individuell glücklich zu arrangieren, während das Kollektivgefühl weiter am Abgrund balanciert.

    Diese Diskrepanz, zwischen dem privaten Leben und dem kollektiven Narrativ, ist ein Riss, der nur heilen kann, wenn Ostdeutschland endlich aus dem Schatten einer negativ besetzten Transformation heraustritt. Die Fakten sprechen für sich: Eine stetig wachsende Innovationskraft, eine Arbeitslosenquote, die vielerorts so niedrig ist wie im Westen, und eine Infrastruktur, die in den letzten Jahren Schritt für Schritt modernisiert wurde. Doch hier ist auch der Staat gefragt: Die Daseinsvorsorge muss weiterhin Priorität haben, und die Gesundheitsversorgung, die soziale Absicherung und die Sicherheit auf der Straße dürfen keine rhetorische Verhandlungsmasse werden.

    Die Ängste vor dem demografischen Wandel sind berechtigt, ebenso wie die Sorgen um den sozialen Zusammenhalt. Aber wer glaubt, dass Rechtsextreme und ihre politischen Brandreden diesen Wandel abfedern könnten, irrt sich. Wir stehen vor der Aufgabe, die soziale Spaltung nicht zu vergrößern, sondern zu minimieren. Der Schlüssel dazu ist nicht Ausgrenzung, sondern ein neues Selbstverständnis: eines, das die vergangenen 35 Jahre nicht nur als Traumabewältigung begreift, sondern als Lektion in Widerstandsfähigkeit und Anpassung.

    Es ist Zeit, sich auf den Stolz zu besinnen, der in den gelebten Biografien Ostdeutschlands steckt – ein Stolz, der nicht nationalistisch verblendet sein muss, sondern solidarisch und inklusiv. Der 35. Jahrestag des Mauerfalls war mehr als ein historischer Glücksfall; er war der Beginn einer Geschichte, die wir, die Generationen nach der Wende, noch immer mitschreiben. Und diese Geschichte hat weit mehr verdient, als in den Vergessenheitssumpf des deutschen Selbstzweifels zu sinken.

  • Generation Z und die Politikverdrossenheit

    Schluss mit leeren Versprechen in der Kommunalpolitik

    Wenn wir von Jugendpolitik sprechen, begegnen uns oft dieselben Floskeln: „Junge Menschen sind unsere Zukunft.“ „Ihre Stimme zählt!“ Doch die Realität ist ernüchternd: Die Jugend ist seit Jahren eine stumme Beobachterin, die in politischen Diskussionen kaum Gehör findet. In Krisen wie der Pandemie zeigte sich ihr Stellenwert deutlich. Schulen und Freizeitstätten wurden mit erschreckender Leichtigkeit geschlossen, und junge Menschen blieben die Letzten, die eine Rückkehr zur Normalität erleben durften. Das Vertrauen der Jugend in die Institutionen wurde tief erschüttert.

    Dabei ist es eine Illusion zu glauben, dass junge Menschen unpolitisch sind. Im Gegenteil: Nie war eine Generation so sensibilisiert für Themen wie Klimawandel, Digitalisierung und soziale Gerechtigkeit. Doch die Enttäuschung über die politische Klasse ist greifbar. Über 70 Prozent der Generation Z fühlen sich von der Politik nicht gehört und nicht ernst genommen. Ein gravierendes Problem in einer Demokratie, die auf das Engagement aller Altersgruppen angewiesen ist. Die Schuld für die Abkehr vieler Jugendlicher liegt nicht bei Social-Media-Plattformen, sondern in der politischen Kultur des Verschweigens und der Ignoranz.

    Schauen wir auf die Kommunalpolitik: Hier gibt es ein enormes Potenzial. Junge Menschen haben überraschend viel Vertrauen in Bürgermeister und lokale Verwaltungen, weit mehr als ältere Generationen. Doch wie nutzt die Kommunalpolitik dieses Vertrauen? Jugendparlamente, die in verstaubten Ratssälen tagen, sind kaum geeignet, um junge Menschen einzubeziehen. Es braucht innovative, digitale Beteiligungsformate. Aber nicht nur das: Die Anliegen der Jugend müssen endlich ernst genommen werden. Es geht nicht um die bessere Erklärung bestehender Politik, sondern um echte Mitgestaltung.

    Politiker, die sich als woke oder jugendlich inszenieren, ernten oft nur Hohn. Authentizität ist gefragt, keine aufgesetzten TikTok-Videos. Junge Menschen wollen Lösungen für reale Probleme: Wohnungsnot, schlechte Bildungsinfrastruktur, Unsicherheiten in der Altersvorsorge. Wenn diese Themen nicht ehrlich und klar angegangen werden, können wir kaum erwarten, dass die Jugend ihre Hoffnungen in die Politik setzt. Die Jugend ist eine Ressource, die Kommunalpolitik dringend heben muss. Sie bringt Leistungsbereitschaft und kreative Lösungsansätze mit. Doch es ist an der Zeit, ihre Fragen ernst zu nehmen und neue, mutige Wege in der politischen Partizipation zu gehen.